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#1 Hot Potato ORCHESTRATUTORIALS

Neustart

#1 Hot Potato

// mit Thomas Klug

Es gibt Partituren, in denen schon das Notenbild eine immense Energie ausstrahlt und die Partiturseiten von schwarzer Tinte förmlich durchtränkt sind: dichtes Tutti, schnelle Sechzehntel, wildes Tremolo. Und es gibt Noten, die von ihrer akustischen Strahlkraft noch nicht alles preisgeben. Bei Mozart ist das zum Beispiel häufig der Fall: die unaufgeregten Achtelketten lassen höchstens das erfahrene Auge erahnen, was für eine Plastizität sich hinter ihnen verbirgt. So ist es auch in der Übung „Hot Potato“, die auf dem Papier ziemlich nach Schulbuch aussieht: vier im staccato gespielte Sechzehntel, alle auf dem selben Ton, werden beginnend mit den ersten Violinen von links nach rechts in einem großen gedachten Kreis durch die Streichergruppen gereicht.

Alle, die manchmal mit einem Metronom üben, kennen die Schwierigkeit: die ersten Schläge sind immer ein bisschen holprig, bis man mit dem Beat verschmilzt. Genau darauf zielt die Übung „Hot Potato“ ab: hier kann man sich keine Zeit zum Eingrooven erlauben, weil die Kette schon nach vier Sechzehnteln weitergereicht wird. Das Orchester muss also über die Stimmgruppen hinweg zu einem durchgehenden Puls verschmelzen – das klappt nur, wenn alle gemeinsam die Sechzehntel fühlen, auch wenn sie gerade nicht spielen. Die große Herausforderung ist dabei erfahrungsgemäß, pünktlich einzusetzen, dann aber innerhalb der eigenen vier Sechzehntel nicht zu beschleunigen. Level zwei der Übung ist eine noch dichtere Weitergabe des Pulses, indem jede Stimmgruppe nur zwei statt vier Tönen spielt.

In der deutschen Aufstellung, in der die zweiten Geigen ganz rechts sitzen, den ersten Geigen gegenüber, wandern die Sechzehntel also von den ersten Geigen über Celli und Bässe zu den Bratschen und schließlich den zweiten Geigen, bevor das Spiel von vorn beginnt. In der heute auch in Europa häufig praktizierten amerikanischen Aufstellung würde die Kette analog von hoch nach tief weitergegeben, mit den zweiten Geigen direkt nach den ersten. Oder – wer weiß: vielleicht kann man die heiße Kartoffel auch durchs Orchester springen lassen?

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